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Immer mehr Problemhunde

Die Tierheime sind voll. Überbelegt. Nicht etwa überwiegend mit netten, unkomplizierten Hunden, die einfach Pech hatten und nun ein neues Zuhause suchen. Nein, der überwiegende Teil der zu vermittelnden Hunde ist nicht wirklich vermittelbar. Jedenfalls nicht ohne entsprechenden Aufwand und der vorherigen Suche nach "dem passenden" Zuhause.

Was liegt näher, als sich im Ausland umzuschauen? Wenn man doch jetzt unbedingt einen Hund haben will, aber im nahegelegenen Tierheim recht schnell damit konfrontiert ist, dass die Sache mit dem "einen Hund aus dem Tierschutz retten" doch komplizierter ist, als gedacht.

 

Also lässt man sich einlullen, von den Beschreibungen des eleganten und auf herzlose Weise ausgemusterten Podenco-Mix. Ganz verzaubert von den treuen Augen des gemütlich dreinschauenden Riesenbaby, dessen Vorfahren treu ergeben und mit äußerster Loyalität ausgestattet, flauschige Lämmerlein, notfalls auch mit ihrem Leben, verteidigt haben. Warum nicht ein bisschen archaischen Flair nach Frankfurt City holen? Ist ja nicht mitten in der Innenstadt, sondern im Speckgürtel und mit eigenem Garten. Da kann sowohl Podenco als auch der Teddy aus Ungarn seine Talente ausleben. Die vermittelnde (verkaufende) Orga bestätigt das und das Schicksal eines weiteren Hundes und möglicherweise auch einer Familie, ist besiegelt. Alles für den Tierschutz.

 

Sie sind ja so dankbar! Und wenn nicht, gibt es ja für Alles Lösungen. "Schauen Sie: In kaum einen anderen Land, wie Deutschland, gibt es so viele Hundeschulen. Teddy braucht natürlich Führung (Was auch immer damit konkret gemeint ist) und Mika bestimmt ein Rückruftraining. Wegen Jagdtrieb und so. Die meisten Hunde sind aber einfach nur dankbar für ihr neues Leben und zu Hause unfassbar ruhig und angenehm. Wirklich eine wahre Freude. Das würden wir ihnen also schon ans Herz legen. Wir arbeiten da hochseriös. Gehen sie auf jeden Fall in eine Hundeschule!"

 

Man fühlt sich gut beraten, klickt auf "Adoptieren". Klingt auch viel besser als "Jetzt für 350 € kaufen" und übernimmt den Dreckspatz zwei Wochen später irgendwo in Deutschland. An einem Flughafen oder wahlweise einer Raststätte, einem Parkplatz oder bei den ganz seriösen Orgas inklusive semi-passendem Sicherheitsgeschirr vor -nicht in- einem Tierheim. Sie sind Hundeanfänger? Kein Probleeeeem!!! Das schaffen sie! Wenn sie Fragen haben, rufen sie einfach an (außer sie wollen ihren Fehlkauf wieder los werden). Wir empfehlen zwar Hundeschulen, sind aber selbst aufgrund unserer Erfahrung als Tierretter:innen mindestens genauso kompetent und haben noch ein paar coole Tipps auf Lager. Jetzt lassen sie "den Kleinen" (Oh, doch eher 40 kg statt 25 kg, naja, Hauptsache gesund, nä?) erstmal in aller Ruhe ankommen. "Whatever that means", denken sich die Adoptanten, äh Käufer, halten nochmal kurz still für ein Foto für den Socialmedia-Auftritt der Orga und ab geht's.

 

Noch bevor die Mikas, Teddys und Lunas, egal ob aus Spanien, Griechenland, Italien, Ungarn oder sonstwoher überhaupt in ihrem neuen Forever Home angekommen sind, läuft bereits so unfassbar viel schief, dass es mir die Haare zu Berge stehen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Hunde früher oder später und nicht selten nach einer längeren Versuchsreihe à la "Wir probieren es erstmal selbst" und dem ein oder anderen zaghaften Hilferuf Richtung Tierschutzorga zu einem Beratungsgespräch als "Problemhund" vorgestellt werden ist hoch. Sehr hoch. 

 

Also doch lieber vernünftig sein und sich vertrauensvoll an die deutsche Hundezucht wenden? Wer es etwas exklusiver mag, kann ja auch einen Lagotto direkt aus Italien importieren, oder so. Die sind ja eh total im Kommen. Eigentlich wie Pudel nur halt irgendwie italienischer. Haha. Da weiß man wenigstens, was man bekommt. Ist ja schließlich vom Züchter.

"Leben die da eigentlich von? Manche mittlerweile bestimmt. Das will man natürlich nicht unterstützen und ergoogelt sich dann doch lieber ein paar Hobbyzüchter:innen. Ist zwar auch über Ebay-Kleinanzeigen (nur Idioten würden heute noch einen Hund auf einer Online-Plattform kaufen), aber ich mein "Hey, da geht's ja nur um das Inserat. Das sind ja jetzt nicht die klassischen Hundehändler, vor denen immer gewarnt wird!". 

Außerdem hätten wir das ja gemerkt. Wir durften die Welpen da ja auch kennenlernen und Alles war super sauber, die Leute tooootal nett und man hat echt gemerkt, dass die ihre 3 Zwergpudel, die eine französische Bulldogge und dieses bezaubernde Mopspärchen total lieben. 

Sogar ein Welpenpaket haben die uns mitgegeben und die Frau hat beim Abschied geweint.

Unsere Nachbarn haben sich übrigens bei einem anderen Züchter für einen Labrador entschieden. Ihnen war wichtig, dass ihr zukünftiges Familienmitglied freundlich, unkompliziert und quasi selbsterziehend ist. Eigentlich war das Aussehen für sie zweitrangig. Aber als sie dann inmitten dieser champagnerfarbenen Hundebabies saßen, war es vollends um sie geschehen. So schön. Und eben doch nochmal was Anderes, einen Labrador im Gewand eines Weimaraners. Zumindestens ein bisschen. Schlanker, sportlicher und nicht so dick wie die "Labbis" ja sonst oft werden. Aber trotzdem von der Art her genauso, wie die beliebten Familienhunde."

Wo Labrador draufsteht, ist schließlich auch Labrador drin. Das mit den neurologischen Problemen und dem Haarausfall, können die armen Leute jetzt noch nicht wissen. Oder besser: Können schon. Nur wollen halt nicht. Dass Wilma aber bereits jetzt vor den Nachbarskindern Angst hat und sogar geknurrt hat, schiebt man aktuell noch auf die Aufregung. Das legt sich sicher., redet man sich gut zu. Man war zwar mal bei einer Beratung vor der Hundeanschaffung, wo einem von einem Welpen mit "Dilute-Gen" abgeraten wurde, aber das klang Alles so negativ und anstrengend, da hat man dem netten Aufklärungsgespräch und den vielen Tests und Laborberichten bei der Züchterin doch mehr Gewicht beigemessen. Alles Quatsch. Haha.

 

Kann man es überhaupt richtig machen? Warum läuft es denn oft nicht so, wie sich Hundehalter:innnen trotz bester Vorsätze, Recherche und Engagement UND finanzieller Möglichkeiten das Hundehaben vorstellen? Weshalb sind so viele Hunde so schwierig und warum werden es scheinbar immer mehr?

 

Meiner Meinung gibt es dafür drei Hauptursachen:

  1. Falsche Passung: Der Hund passt nicht zur Lebenssituation. Der Hundetyp, die Ansprüche an eine adäquate Haltung des jeweiligen Hundes inklusive und insbesondere aufgrund der genetischen Veranlagung stehen die Chancen gut, dass dieser Hund in einem unpassenden Umfeld Verhaltensweisen zeigen wird, die als problematisch empfunden werden. Der Lebenswandel, körperliche Fitness, Zeitbudget und Umgebung, also Wohnort, charakterliche Eignung der Hundehalter:innen oder weitere Faktoren sind für diesen Hund einfach ungeeignet. Der Hund verhält sich adäquat. Sein Verhalten wird zum Problem, weil dieser Hund in dieses Umfeld nicht passt oder diese:r Hundehalter:in für diesen Hund ungeeignet ist.
  2. Falsche Erwartungen: Die Vorstellung vom Leben mit Hund orientiert sich an einzelnen Vorbildern, Träumereien oder durch Socialmedia verklärten Illusionen. Es herrschen zunehmend falsche Vorstellungen vom Leben mit Hunden. Teilweise auch selbst gemachte Erfahrungen mit den Familienhunden von vor 30 Jahren, als aber eben auch die Lebensrealität häufig eine völlig andere war. Oft sind solche Erinnerungen auch einfach falsch und im Nachhinein verklärt. Die Rassevielfalt, die Eigenschaften spezialisierter Rassen werden zwar zur Kenntnis genommen, aber erwartet, dass vor allem das, was man sich an positiven Eigenschaften darunter vorstellt, im Vordergrund steht und das Leben bereichern wird. Dazu sollen Hunde den gesamten Alltag "mitmachen" und sich entsprechend unserer Moralvorstellungen von Gewaltfreiheit und einfach einem Happy-Life verhalten. Daran scheitert jeder Hund. Auch die Rassen, die speziell auf diese seltsamen Bedürfnisse gezüchtet werden. So leiden Pudel, Goldie oder Mops eben einfach unauffälliger und weniger störend. Andere Hundetypen tun das nicht und sind dann schnell "Problemhunde". Dabei zeigen sie einfach normales Hunde-Verhalten, dass sie immer wieder in Konflikte mit ihren Menschen oder der Umwelt bringt.
  3. Haltungs- und Erziehungsfehler: Hundehalter:innen wissen heute viel mehr. Bücher, Online-Kurse, Hundevereine und -schulen bieten Input in Hülle und Fülle. Die Philosophien dahinter sind so unterschiedlich wie die Hunde, an denen sie ausprobiert werden. Ein natürlicher Umgang mit Hunden existiert kaum. Und am Ende glaubt man der Susi von der Hundewiese oder dem Hundesportler auf Insta mehr, weil einem die Meinung einfach besser gefällt. Was weiß schon diese spaßbefreite Person in der Hundeschule. Wird schon gutgehen. Und dann? Ja dann macht man erstmal das, was einem gerade so in den Sinn kommt. Schließlich hat man den Hund ja für den Spaß und Quality Time und nicht, um dauernd an ihm rumzuerziehen. Hätte man mit Meike ja auch gleich echte Kinder machen können. Oder man übertreibt es, weil man es wenigstens mit dem Hund perfekt machen will.

Da werden Hunde rund um die Uhr kontrolliert, dürfen nicht eine einzige Entscheidung selbst treffen, geschweige denn mal was ausprobieren, verbringen den Großteil ihrer Jugend zwischen Hundebox und Hundeplatz und drehen logischerweise irgendwann durch. Da werden Hunde ausschließlich und immer positiv verstärkt und jede Form des Grenzensetzen abgelehnt. "Ein Nein verwenden wir hier nicht. Das schüchtert diese sensiblen Tiere zu sehr ein." Bis der süße Vierbeiner durch ein fahrendes Auto, einen entnervten Artgenossen oder das Veterinäramt der ersten und möglicherweise endgültigen Grenze seines Lebens begegnet. Da harren Hunde bis zu 10 Stunden in der Wohnung aus, bis Frauchen von ihrem fordernden Vollzeitjob heimkommt und dann wenigstens nochmal für ein Stündchen in den Hundepark geht. Dort wird dann "getobt", oder wie man das nennt... Da werden Hunde in HuTa's gebracht, die optisch einer high-end Kindertagesstätte nachempfunden sind. Ohne sich zu fragen, wie das eigentlich funktioniert, dass da 100 Hunde und mehr auf begrenztem Raum scheinbar halbwegs verletzungsfrei durch den Tag kommen, wo Buddy auf der heimischen Gassirunde mittlerweile jeden Artgenossen meidet oder fressen will. Da werden Hunde mit Wasser bespritzt oder gleich mit der ganzen Flasche beworfen, weil man das im Fernsehen bei einem ähnlichen Hund so gesehen hat. Wird schon passen. Der Galgo ist seitem nicht mehr ansprechbar. Da werden Hunde jahrelang hauptsächlich mit Leberwurst ernährt, die während des Trainings in sie reingeschoben wird, weil man einfach nicht akzeptieren kann, dass der eigene Hund "das" nicht lernen will. Da bekommen Hunde drei mal täglich ein frisch gekochtes, ausgeklügeltes Menü und nächtigen im orthopädischen Liegebett, müssen aber halt damit klarkommen, dass sie 300 mal auf den Arm genommen, abgeknutscht und in Plastikkleidchen gesteckt werden. Auf Insta haben sie einen eigenen Account und leben ihr bestes Leben. In Wahrheit haben sie gelernt, dass es am schnellsten vorbei geht, wenn sie irgendwo brav Sitz machen und danach durchatmen können, während Frauchen die darauffolgenden 3 Stunden mit ihrem Handy beschäftigt ist. Eine Pfütze haben die noch nie in ihrem Leben gesehen. Außer das eine Mal, für so ein lustiges Reel. Der Hundefriseur ist immer so ausgebucht. Das geht mit dem Fell halt garnicht. Da werden Hunde mit Halti, Anti-Zuggeschirr und zwei Halsbändern ausgeführt, weil man sich beim Hundekauf garnicht vorstellen konnte, dass  50 kg Hund zwar geil aussehen, man selbst aber echt scheiße, wenn man mit ebenfalls knapp 50 kg hintendran hängt. Da werden verbotene, aber eben doch denkbare Maßnahmen ergriffen und der jagende Hund mal ordentlich unter Strom gesetzt, wenn er das nächste Mal losbrettert. Ups, Fehlverknüpfung. Da wird so lange an der Leine rumgeruckt, bis der Hund dann endlich wütend rumfährt und seinen Menschen beißt. Ab ins Tierheim. Der ist ja völlig unberechenbar. Da dürfen die eigenen Kinder den Hund so lange bedrängen, an den Ohren ziehen und in der Nase bohren, bis der Hund ein Exempel statuiert und Kevin-Sören die Nase fehlt. Alle schockiert. Laika muss schweren Herzens abgegeben werden. Kevin-Sören wird weitere 5 mal operiert werden und trotzdem für immer daran erinnert werden, dass seine Eltern gepennt haben. Da fühlt man sich so lange geschmeichelt, dass der dankbare Tierschutzhund einem vom ersten Tag an nicht von Seite weicht, bis dieser selbst den Ehepartner nicht mehr an einen ranlässt oder wahlweise die Bude auseinandernimmt, wenn man mal ganz schnell zum Rewe rennt. Da wird der Hund ausschließlich in der Wohnug gehalten, weil der draußen den Schwanz einzieht und vermutlich schwer traumatisiert ist. Wollen sie den Hund jetzt etwa zwingen? Ihnen ist klar, dass ich das melden muss und sie gegen das Tierschutzgesetzt verstoßen?? Da hält man mit jedem und jeder Hundehalter:in Smalltalk, während sich die Hunde an strammen Leinen mal freundlich und mal weniger freundlich, aber immer mit viel Enthusiasmus und Energie "Hallo" sagen und wundert sich, wenn das infantile Junghund-Gemüt irgendwann einem erwachsenen "Die Sympathie entscheidet" weicht. So steht es dann jedenfalls im Vermittlungstext. Da wird das Kind mit Omi, Ballschleuder und "Jacky" dem Jagdterrier losgeschickt, damit man beim Abendessen später Ruhe hat. Jacky steht nach so einer Runde dann nämlich meist bis nachts vor der Kommode, wo er den Ball vermutet und nervt deshalb nicht so, wie er es sonst tut. Irgendwie findet man es zwar befremdlich, dass der kleine Hund 6 Stunden am Stück auf eine Schublade starrt, aber das stört einen ja nicht, solange er dabei nicht bellt oder so. Haha.

Ist es also verwunderlich, dass es so viele vermeintliche Problemhunde gibt? Sind es vielleicht oft garnicht die Hunde, die problematisch sind, sondern vielmehr wir? Wo endet Normalverhalten und wo beginnt unnormales Verhalten? Welchen Anteil hat unser, selbst für uns Menschen häufig ungesunde, stressige, überfordernde Lebensstil? Die überzogenen Erwartungen an uns selbst, unsere Außenwirkung, Erwartungen an das, was innerhalb kürzester Zeit erreicht werden muss und somit auch unser Hund zu leisten hat? Projektionen auf einen bestimmten Hundetyp oder eine Rasse, der man nicht mal im Ansatz gewachsen ist. Von der man aber halt schon immer geträumt hat?

 

Ist das, was wir unter "mal Hundsein" verstehen, wirklich das, was unser Hund möchte oder haben viele Hundehalter:innen ein vollkommen falsches Bild von dem, was einen Hund zufrieden und ausgeglichen macht?

Spielt das überhaupt eine Rolle? Oder sind es vor allem unsere eigenen Bedürfnisse, die eben nicht nur zu dem Wunsch nach einem eigenen Hund führen, sondern auch zu häufig ganz seltsamen Haltungsbedingungen und den daraus resultierenden Problemen? 

Muss jeder Hund unbedingt in jeder Lebenslage ein amöbenhaft angepasstes Verhalten zeigen? Die meisten würden das wohl verneinen, scheitern in der Realität aber genau daran. Denn Theorie und Praxis sind dann eben doch nicht gleich. Sobald wir am eigenen Leib diverse Einschränkungen und Beschränkungen ertragen müssen, macht das Ganze nur noch halb so viel Spaß. 

Man hat sich doch genau deshalb einen Hund angeschafft: Weil man ihn überall dabei haben wollte! Das "Fremden gegenüber misstrauisch" hat man überlesen oder ignoriert. 

Selbsterkenntnis, Akzeptanz, sich selbst zurücknehmen können, auf Dinge verzichten, die eigene Impulskontrolle und Frustrationstoleranz trainieren zu müssen ist halt einfach und völlig unbestritten nicht schön. Schon garnicht, wenn am Ende die Erkenntnis steht, dass man sich übernommen hat. Dass man sich heute nicht mehr für diesen Hundetyp entscheiden würde, dass man viel besonnener bei der Auswahl des Welpen wäre oder niemals mehr online einen Hund bestellen, äh retten, würde.

Trotz aller Bemühungen kann es also sein, dass man am Ende nicht erfolgreich ist. Manchmal ist der Hund halt so und alles Training und Geld der Welt wird ihn nicht grundlegend verändern. Auf das Eine hat er keinen Bock, das Andere kann er nicht gut aushalten, Jenes geht nicht und Dieses ist nur in Maßen möglich.

 

Viel zu oft wird dabei vergessen, dass es bei uns genauso ist. Wieviele Problemhunde würden wohl abends am Waldrand sitzen und -nachdem sie das ein oder andere Reh gejagt, einen einsamen Spaziergänger erschreckt und eine aufdringliche Joggerin gebissen haben- sich darüber austauschen, wie inkompetent und ungeeignet ihre Menschen sind. Wie schnell sie aus der Haut fahren, wie unentschlossen und unzuverlässig sie sind, wie unbeweglich und ungeschickt. Dass ihre Menschen viel zu schnell einknicken und eine Gefahr erst erkennen, wenn sie da ist, ...

Zurück zu den Ursachen: Müssen wir also einfach mal wieder runterkommen und unsere Hunde so nehmen, wie sie sind?

Ja und Nein. 

Ein wenig mehr zurück zu: Ein Hund ist ein äußerst wehrhafter Beutegreifer. Ein soziales Lebewesen. Domestiziert und in diversen Varianten für die unterschiedlichsten Tätigkeiten gezüchtet. Kaum eine dieser mühsam an- und umgezüchteten Fähigkeiten können wir heute in Privathaushalten gebrauchen. Häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. Je nach Hundetyp stellt das allein, selbst bei optimalen Voraussetzungen eine Herausforderung dar.

 

Kommen ungünstige Faktoren hinzu, beginnt eigentlich schon die Schadensbegrenzung. Ungünstige Faktoren sind beispielsweise die 3 oben genannten Gründe für -nennen wir es mal- problematische Entwicklungen.

 

Wie absurd ist es, sich ein solches Tier, am besten noch besonders groß, stark bemuskelt, pfeilschnell und wehrhaft anzuschaffen und dann zu erwarten, dass es sich wie ein Kaninchen verhält?

 

Wir sollten häufiger hinterfragen, ob unser eigenes Verhalten erwünschtes Verhalten verunmöglicht. 

Natürlich ist es inakzeptabel und problematisch, wenn ein Hund beißt. Wurde ihm aber monatelang erlaubt, dieses Verhalten zu perfektionieren, zu erlernen, Spaß daran zu finden oder als einzige Lösung für einen Konflikt zu etablieren, ist es wohl nicht verwunderlich, dass es so gekommen ist.

Entscheidet man sich für einen Hundetyp, der territorial ist und die letzten Jahrhunderte vor allem zum Bewachen von Haus und Hof angeschafft wurde, muss man sich wohl nicht sonderlich konsterniert zeigen, wenn er das dann auch tut. Dass sich so ein Hund in einer WG oder im Office häufig nicht wunschgemäß entwickelt....wen wundert's?

Schleift man einen eher reizoffenen oder sensiblen Hund täglich quer durch die Stadt und bringt ihn wahllos in die unterschiedlichsten Stresssituationen, erstaunt es nicht, wenn dieser sich irgendwann übernächtigt, chronisch gestresst und recht dünnhäutig zeigt.

Wählt man für sich den Malinois oder Herder, weil die gerade (leider) so modern sind und ist dann total verwundert, dass der Hund nun mal einfach Freude daran hat, in alles mögliche reinzubeißen und dafür auch noch Lob und Anerkennung erwartet, ist nicht der Hund das Problem. Wir sind es!

 

Der Hund verhält sich so, wie es seine Veranlagung verlangt. Er tut das, was nahe liegt und erfolgreich ist. Er tut es umso mehr, wenn du es anfangs noch cool fandest oder sogar süß. Er versteht nicht, dass das, was er am besten kann und am meisten will plötzlich nicht mehr erwünscht ist. Auch nicht, wenn du ihn gerettet hast. Das ist ihm herzlich egal. Er tut es, weil er es kann. Warum auch immer das so ist. Also musst du dafür sorgen, dass er auch andere Sachen kann und die hoffentlich irgendwann lieber tut. Das klappt aber nicht immer, was wiederum auch nicht immer nur am Hund liegt. Denn bevor dein Problemhund was können kann, musst du es können. Und wenn das dann eben nicht klappt und ihr es beide oder einer von euch nicht kann, musst du dafür sorgen, dass er es nicht mehr kann. Dann wird dein Hund entweder trotzdem zufrieden sein oder eben sehr unglücklich werden. Oder du wirst sehr unglücklich. Und dann muss der Hund weg. Ein Hund, der nix kann, oder nur Sachen, die er nicht können soll, ist schwer vermittelbar und -da schließt sich der Kreis- die Tierheime sind voll mit Hunden, die die falschen Sachen können, von Menschen, die dachten, dass sie viel können und dann irgendwann garnicht mehr konnten. 

Ist immer der Mensch schuld?

Ist immer der Mensch schuld? Das andere Ende der Leine?

Naja, am Ende irgendwie schon.. Aber natürlich gibt es die Hunde, die aus gesundheitlichen Gründen sich selbst oder andere gefährdendes Verhalten zeigen. Hunde, die hirnorganisch "nicht richtig ticken", entwicklungsverzögert sind, Konzentrationsstörungen haben, kognitiv eingeschränkt sind oder so schwer traumatisiert, dass sie für Verhaltenstherapie oder gar Training und Erziehung kaum oder nicht mehr erreichbar sind.

Unfälle und Verletzungen, ebenso wie Tumore können ebenfalls zu Verhaltensstörungen führen.

Auch die pränatalen Einflussfaktoren auf die Welpenentwicklung im Mutterleib sind nicht zu unterschätzen. So wie überhaupt der Einfluss von hormonellen Schwankungen oder Stoffwechselerkrankungen.

Schmerzen und Einschränkungen am Bewegungsapparat und vieles mehr kann zu Verhaltensänderungen  und Problemen führen.

Auch ein in den ersten Lebensmonaten oder über Jahre hinweg praktiziertes Verhalten ist für Training nicht immer zugänglich oder so veränderbar, dass das Ergebnis zufreidenstellend ist.

Darüber hinaus gibt es im Bereich des aggressiven Verhaltens auch Hunde, die schlicht und ergreifend Spaß daran haben. Auch das (munkelt man) war und ist züchterisch mitunter erwünscht. Diese "Laune der Natur" soll ja auch bei uns Menschen gelegentlich mal vorkommen.

 

Es geht also nicht darum, dem Einzelnen einen Vorwurf zu machen und Hundehalter:innen, die das Verhalten ihres Hundes problematisch finden, on top Vorwürfe zu machen, da sie bestimmt dran schuld sind. Aber man kann ja daraus lernen und versuchen aufzuklären. Darüber, dass es oft nicht so einfach ist, wie man sich das vorstellt. Dass es oft nicht die eine Erklärung gibt und man nur lange genug nach "der Methode" oder "der besten Hundetrainer:in" suchen muss, um das Problem in den Griff zu bekommen. Manchmal ist der Mensch wirklich schuld. Manchmal die Menschen insgesamt und die Gesellschaft und manchmal auch der Hund oder alle zusammen. Eigentlich ist es auch egal und diese Frage zu beantworten sollte nur dazu dienen, den gleichen Fehler nicht immer wieder zu machen, weil das "Ich bin schuld, ich bin daran beteiligt, dass es einen Problemhund mehr gibt" so weh tut.

 

Mal  ist die Lösung wirklich der Kontakt zu einer richtig guten Hundeschule oder das Erlernen dieser einen Methode, die zum Hund und einem selbst passt, mal ist es viel Arbeit, Training und Fleiß, mal eine Veränderung des eigenen Verhaltens und Lebensstils, ein Umzug oder etwas noch größeres und manchmal eben auch einfach Akzeptanz. Akzeptanz, dass Dieses oder Jenes mit diesem Hund eben einfach nicht geht. 

Wo da wer seine Grenze setzt, ist individuell.

 

Eins ist sicher: Hast du oder dein Hund einen erheblichen Leidensdruck, muss etwas passieren. Irgendwas kann man immer tun. Muss man auch! Meiner Meinung nach ist nichts schlimmer, als einfach nur auszuhalten und im Ist-Zustand zu erstarren. 

Illusionen sollte man sich aber auch nicht machen. Wegen denen ist man ja meist auch da, wo man jetzt ist.

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