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Das Nervensystem des Hundes

Das Nervensystem des Hundes

Das Nervensystem des Hundes ist ein spannendes Konstrukt und im Aufbau garnicht so verschieden von unserem, menschlichen Nervensystem. Es zeigt sich immer mehr, dass Säugetiere in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich funktionieren. Besonders die "Gefühlswelt", emotionale Reaktionen, sowohl positiv als auch negativ, werden durch ähnliche Prozesse ausgelöst oder gedämpft. Das Wissen um bestimmte Abläufe "hinter der Stirn" des Hundes ist in der Verhaltenstherapie unglaublich hilfreich, eigentlich zwingend notwendig, auch wenn viele Hundetrainer den "wissenschaftlichen" Aspekt gerne ignorieren und nach "Erfahrung bzw. Methode" arbeiten. Besonders in den letzten 10 Jahren hat sich in der Verhaltensforschung viel getan. Tieren werden mittlerweile ähnliche, emotionale Fähigkeiten und Stressreaktionen zugestanden, wie uns Menschen. Noch vor 20 Jahren wäre man für so eine Feststellung vom überwiegenden Teil der "Fachleute" gesteinigt worden. Das ist heute anders. Glücklicherweise. Was wir als Hundehalter und Hundetrainer daraus machen, ist natürlich eine ganz andere Frage. Nutzen wir das Wissen um chemische Prozesse im Gehirn des Hundes? Öffnen wir uns für fächerübergreifendes Vorgehen im Rahmen eines Trainings oder einer Verhaltenstherapie? Oder verfahren wir weiterhin wie gehabt und setzen darauf, dass es auch so klappt?

Warum macht er das?

Das ist eine der häufigsten Fragen, die mir in meinem Berufsalltag gestellt wird. Meist habe ich eine plausible Antwort aber häufig kann ich auch nur spekulieren. Nicht jede Situation ist eindeutig und der Grund, weshalb ein Hund auf bestimmte "Einflüsse" stärker reagiert (auch hier wieder positiv und negativ) als andere Hunde, liegt eventuell irgendwo in der Vergangenheit. Jedenfalls wird diese Annahme meist als Pauschalbegründung für jede Form von Verhalten außerhalb der "Norm" herangezogen. Eine schlechte Erfahrung? Ein einschneidendes Erlebnis zu einem ungünstigen Zeitpunkt? Vielleicht etwas, was der Hundehalter garnicht mitbekommen hat. Oder einfach nur zu wenig kennengelernt und deswegen unerfahren? Das sind so die Klassiker, die zum Erklären von ängstlichem, schreckhaftem, aggressivem oder übernervösem Verhalten herangezogen werden. Nicht aus der Luft gegriffen und in vielen Fällen richtig. 

Immer wieder versichern mir Hundehalter jedoch glaubhaft, dass ihr Hund keine besonders dramatischen Erlebnisse zu verkraften hatte, Alles nach Plan verlief, man nicht zu viel aber auch nicht zu wenig aktiv war und der Vierbeiner dennoch irgendwie "anders" ist. 

Veranlagung und Individualität

Mit dem zunehmenden Wissen um chemische Vorgänge im Körper des Hundes, den Einfluss genetischer Prädispositionen eines einzelnen Hundes, werden manche Verhaltensmuster verständlicher. Dass bestimmte Hunderassen Veranlagungen für mehr oder weniger ausgeprägte Verhaltensweisen mitbringen, unterschiedlich sensibel oder auch sehr gelassen reagieren, ist schon lange bekannt und durch entsprechende Zuchtauswahl bewusst manipuliert worden. Zum Vor- aber auch zum Nachteil der jeweiligen Hunde, auch immer abhängig von der Lebenssituation und dem Alltag des Hundes.

Doch unabhängig von rassetypischen Merkmalen gibt es individuelle Veranlagungen, die den Umgang mit Stress beeinflussen. Und so wie es aussieht, viel mehr, als bisher angenommen.

Nach Steven Lindsay, unterscheiden sich die genetischen Prädispositionen in "sympathisch dominant" und "parasympathisch dominant".


Rechts finden Sie den Google-Books-Link zu einer der umfassendsten und aktuellen wissenschaftlichen Sammlungen zur Verhaltensbiologie des Hundes, von Steven Lindsay. Einem Hundeverhaltensberater und Trainer in den USA.



Sympathisch dominant = auf nette Weise großkotzig?

"Sympathisch dominant" bedeutet, dass der Hund gefühlsbetont reagiert und meist wesentlich anfälliger für biologischen Stress ist. Dahingegen bedeutet "parasympathisch dominant", dass der Hund zur ruhigeren, gelasseneren Fraktion gehört und wesentlich anpassungsfähiger ist.

Diese Erklärung ist natürlich stark vereinfacht, reicht aber zunächst aus, um ein bisschen mehr Verständnis für biologische Hintergründe zu erlangen.

Aber beginnen wir von vorne und damit, was mit dem Nervenkostüm des Hundes so abgeht.

Das Nervensystem des Hundes

Das Nervensystem kann in zwei große Bereiche aufgeteilt werden:

  1. Das Zentrale Nervensystem, welches Gehirn und Rückenmark umfasst und
  2. das Periphere Nervensystem, welches Nerven und Sinnesorgane betrifft.

Das Zentrale Nervensystem, kurz ZNS, empfängt sensorische Informationen, also "Wahrnehmungen" der Nerven und Sinnesorgane, welche zum peripheren Nervensystem, Kurz PNS, gehören. Das bedeutet: PNS schickt Reize und Wahrnehmungen an Rückenmark und Gehirn, also ans ZNS.

 

Das ZNS wiederum verarbeitet diese Informationen und gibt natürlich Rückmeldung, wie auf die empfangenen Infos reagiert werden soll. Die Rückmeldung sendet das ZNS sowohl zurück an das PNS (Nerven & Sinnesorgane), als auch an das endokrine System.

 

Zum "endokrinen System" merken wir uns aktuell: "Hormone und so".

 

Denn zunächst ist für uns wichtig: PNS sendet Infos an das ZNS, dieses verarbeitet und gibt Rückmeldung.

 

Das bedeutet: Das PNS hat nun eine "Antwort" vom ZNS (Hirn & Rückenmark), wie die eingegangenen Infos "bewertet werden".

Diese Antwort wird über den ableitenden Bereich des PNS, in Form von Impulsen, an Muskeln und Drüsen weiter geschickt.

Merke: Das PNS hat einen zuleitenden Bereich, der Infos an das ZNS sendet und einen ableitenden Bereich, der Infos (die Impulse beziehungsweise Antworten aus dem ZNS) an Muskeln und Drüsen schickt.

 

Auch hier, gibt es zwei Anlaufstellen: Das somatische Nervensystem und das vegetative Nervensystem.

Das vegetative Nervensystem steuert automatisch ablaufende, unwillkürliche Prozesse, beispielsweise Reflexe und alle körperlichen Aktivitäten, die zur Lebenserhaltung nötig sind, wie das Atmen, Herzschlag, Darmbewegungen usw.

Das somatische Nervensystem besteht hingegen aus Nervenfasern, die zu den Zellen der Skelettmuskulatur führen. Wenn unser Hund beispielsweise ein Sitz-Signal ausführt, passiert das über diesen Weg.

Das vegetative Nervensystem des Hundes

Der Teil des Nervensystems des Hundes, welcher für alle möglichen, lebenswichtigen Prozesse zuständig ist, also das vegetative Nervensystem, ist in diesem Fall von Interesse. Denn dieses gliedert sich wiederum (unter anderem) in den Sympathikus und den Parasympathikus.

Diese beiden Bereiche sind, genetisch bedingt, individuell unterschiedlich "betont". Man spricht auch von "genetischer Prädisposition".

Der Sympathikus

Auch "sympathisches Nervensystem" genannt. Macht Hunde, ist es bei einem Individuum stärker ausgeprägt, eher nicht sympathisch. Denn es steuert und mobilisiert Energie in Notfallsituationen.

So beeinflusst der Sympathikus Herzfrequenz und Bluthochdruck, reduziert die Verdauungstätigkeit, stößt eine erhöhte Atemfrequenz und einen Anstieg des Blutzuckerspiegels an. Und es regt außerdem die Sekretion, also Abgabe, von Adrenalin an. Adrenalin ist ein Stresshormon, wenn nicht sogar "das Stresshormon" schlechthin.

Das sympathische Nervensystem löst auch die Flucht oder Abwehrreaktion aus.

Der Parasympathikus

Auch "parasympathisches Nervensystem" genannt. 

Dieses wirkt ausgleichend und wirkt dem Sympathikus entgegen. 

Über den Parasympathikus werden überwiegend erholungsfördernde Signale an den Körper gegeben. 

Das parasympathische Nervensystem des Hunde ist also (wie bei uns) für die Regulierung der Prozesse verantwortlich, die durch den Sympathikus angestoßen werden und umgekehrt. Beide Systeme arbeiten "antagonistisch", sind also Gegenspieler. Beide Systeme werden benötigt. Ist eines der beiden Systeme stärker betont als das andere, beeinflusst dies maßgeblich die Reaktion des Hundes auf alle möglichen Reize.


Auswirkungen auf den Alltag mit Hund

Die wichtige Erkenntnis aus diesen Zusammenhängen ist, dass es völlig unterschiedliche Veranlagungen gibt. Je nachdem, ob ein Hund eine genetische Prädisposition für "sympathisch dominant" oder "parasympathisch dominant" hat, fällt seine Reaktion auf Umweltreize, Berührungen, Schrecksituationen, Korrekturmaßnahmen, Lob und vor allem auf Stress unterschiedlich aus. Diese "Impulse" sind für den Hund selbst zunächst nicht beeinflussbar und steuerbar. 

Das bedeutet natürlich auch, dass für ein effektives Training oder eine Verhaltenstherapie unbedingt beachtet werden muss, mit welchen "nervlichen" Grundvoraussetzungen ein Hund lebt. Aber nicht nur dann, wenn das "Kind schon in den Brunnen gefallen" ist, sondern viel früher. Berücksichtigt man diese Veranlagungen bereits in der Welpenauswahl und Welpenaufzucht und spätestens im Welpentraining, ergeben sich völlig unterschiedliche Herangehensweisen.

So würde man für den einen Welpen guten Gewissens empfehlen, viele Eindrücke zu sammeln und diesen schon früh mit vielen neuen Situationen zu konfrontieren, ohne Angst vor zu viel Aufregung. Bei einem anderen Welpen, unter Umständen aus dem gleichen Wurf, mit den gleichen "äußerlichen" Grundvoraussetzungen aber das genaue Gegenteil, nämlich Sicherheit zu Hause gewinnen, ruhig und gelassen auf die ersten Eindrücke und Alltagsgeräusche im Haus reagieren lernen und ein viel behutsameres Rantasten an Neues.

Denn -und das halte ich für eine lange Zeit unterschätzte Fragestellung- wie soll ein stressanfälliger Hund, der seit dem Welpenalter zwar viel kennengelernt hat und vermeintlich vorbildlich "geprägt" wurde mit Stresssituationen umgehen, wenn er das Leben überwiegend "unter Strom stehend" kennengelernt hat. Also Ruhe und Gelassenheit mit seiner ohnehin schon "schwierigeren Prädisposition" nie erlernen konnte. Umgekehrt, wird ein Hund, der selbstsicher ist, dafür aber weniger kennengelernt hat, dennoch wesentlich gelassener mit Neuem umgehen können. Denn die Basis wurde, im Rahmen der "genetischen Grenzen", behutsam aber solide aufgebaut.

Spinnt man den Faden weiter, wird deutlich, wie wichtig das Wissen um individuelle Eigenschaften, nennen wir es "Wesenszüge", aber auch chemische Vorgänge im Körper / Gehirn des Hundes im Allgemeinen und im Individuum sind.

 

Für den Hundehalter bedeutet dies: Verlassen Sie sich auf Ihr Bauchgefühl. Damit liegt man meistens richtig, wenn man den Eindruck hat, der eigene Hund ist nicht nur verwirrt, sondern gestresst, nicht nur ein kleiner Schisser, sondern hat wirklich Angst, nicht nur ein "Arschlochhund", sondern kann sich nicht anders helfen. Reagieren Sie auf Ihre Intuition und setzen Sie ihren Hund nicht Situationen aus, in welchen er sich offensichtlich extrem unwohl oder hilflos fühlt und sie bis dato keine Lösung haben, die sie Ihrem Vierbeiner anbieten können, um mit der Stresssituation konstruktiv umzugehen.

Das gilt besonders für Welpen, junge Hunde, sensible Hunde, stressanfällige und ganz besonders für Hunde, die mit Aggressionsverhalten reagieren.

Natürlich soll das nicht bedeuten, dass Sie zukünftig mit Ihrem Hund zu Hause bleiben oder ihn in Watte packen. Mit einem geeigneten Trainingsplan, eventuell unter alternativmedizinischer Begleitung, einer entsprechend angepassten Ernährung und mit etwas Fleiß und Geduld, kann Ihr Hund durchaus lernen Impulse zu kontrollieren und mit Stress zukünftig besser umgehen. 

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