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Ist Hallo sagen an der Leine wirklich so schlimm?

Ehrlich gesagt: Nein. Es wäre ja irgendwie auch seltsam, wenn "die Leine" so einen krassen Einfluss hätte, oder? Gegen kurzes Begrüßen im Vorbeigehen, vergleichbar mit einem netten, unverbindlichen Zunicken unter Menschen, die sich auf dem Bürgersteig begegnen, ist an und für sich nichts einzuwenden.

Warum wird dir von Fachleuten trotzdem fast ausnahmslos abgeraten, deinen Hund an der Leine andere Hunde begrüßen zu lassen?

#1 Es ist keine "Begrüßung"

Das, was viele Menschen als Begrüßung unter Hunden einordnen ist in Wahrheit deutliches Imponieren, Einschüchtern und Schadensbegrenzung. Ein nettes "Hallo" sagen, einfach unverbindlich und höflich, kommt in den von uns an der Leine kreierten Situationen so gut wie nie vor.

#2 Entgegen wichtiger Bedürfnisse

Erwachsene Hunde mit sozialem Anschluss haben meist kein starkes Bedürfnis "neue Leute" kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Treten sie in direkten Kontakt mit anderen Hunden, verfolgen sie zunächst meist andere Interessen als einfach nur nett miteinander Zeit verbringen zu wollen. 

Aus Hundesicht sind Direktkontakte immer auch mit Risiken verbunden. Mental gesunde Hunde gehen keine unnötigen Risiken ein.

#3 Gestörte Kommunikation

Viele Hunde sind in der direkten Begegnung nicht besonders gut leinenführig und drücken im Geschirr oder Halsband hängend meist körpersprachlich unklare Signale. Das führt häufig zu Missverständnissen und der betroffene Hund bleibt verwirrt zurück oder findet sich plötzlich in einem Konflikt wieder, obwohl er eventuell wirklich einfach nur neugierig Kontakt aufnehmen wollte (Junghunde).

Missverständnisse gerade zu rücken oder Konflikte zu klären, während der Hund angeleint ist und sich somit nicht frei ausdrücken kann, ist schwer und führt leichter zu weiteren Missverständnissen oder Konflikten.

"Konflikte" müssen nicht immer gleich Prügeleien sein. Auch ein hölzerner Gang, sich steif machen, kurzes Blockieren in der Bewegung oder Drohfixieren sind Konflikte und vergleichbar mit einem fremden Passanten, der uns beschimpft, bedroht und zu nahe kommt.

Diese Situationen immer wieder aushalten zu müssen, in dem Wissen diese nicht verlassen zu können ist mindestens anstrengend, verwirrend und nicht selten der Ursprung für vermehrtes Aggressionsverhalten gegenüber Artgenossen.

#4 Viel zu häufig

Besonders in dicht besiedelten Gebieten trifft unser Hund ja nicht ab und zu mal einen Hund, sondern auf jedem Spaziergang mehrere. das sind ganz schön viele kleine Zufallsbekanntschaften. Das liegt nicht jedem. Stell dir vor, du müsstest jeder Person, die einen Hund dabei hat, genauso wie dein Hund, Hallo sagen, dich kurz über deinen Gesundheitszustand, deinen Beziehungsstatus und deine Einkommensverhältnisse austauschen. Und zwar so lange, bis dein Hund weitergehen möchte.

#5 Zu undifferenziert

Manchmal wirst du mitten im Satz unterbrochen, obwohl du dich gerade gut unterhalten hast, ein anderes mal flüstert dir dein Gegenüber leise zu, wie hässlich du bist und dass er dich das nächste mal verkloppen wird, wenn er dich alleine erwischst und du musst ihn irgendwie besänftigen, weil du ja nicht einfach so wegkannst. Cool, oder?

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die "Blöde-Erfahrungen-Quote" ganz schön hoch sein kann. Und hier sprechen wir gerade nur von der sogenannten Opferrolle. Dass Hunde im Zuge dieser Lernkurve meist erst schleichend und dann doch recht deutlich zu "Tätern" werden, Pöblern, Mobbern, Angriff-ist-die-beste-Verteidigung-Hysterikern, verwundert nicht.

Wann dürfen sich Hunde Hallo sagen?

Wenn du die Bedürfnisse und Motivationen deines Hundes gut kennst, den entgegen kommenden Hund sicher einschätzen kannst und von allen eine entspannte, freundliche Stimmung ausgestrahlt wird.

Keine Spannung auf der Leine, keine besondere Aufregung, einfach ein kurzes "Hallo" im Vorbeigehen ohne, dass sich Leinene verheddern.

 

Und da fängt es an, schwierig zu werden. Denn viele Hunde umrunden/umkreisen sich während eines ersten Abcheckens gerne mal. Geht natürlich nicht an der Leine oder es muss danach entknotet werden. Spätestens, wenn man nach dem ersten Kennenlernen feststellt, dass man sich nicht sympathisch findet, wird das ein Problem.

Ansonsten fällst du deinem Hund "nur" ins Wort, wenn du die Leinen enthedderst, an ihm herum ziehst usw.

 

Eine solide Einschätzung eines fremden Hund-Mensch-Teams innerhalb weniger Sekunden ist schwer. Man verschätzt sich also oft und selbst Hundehaltende selbst schätzen ihre eigenen Hunde selbst oft falsch ein. 

"Der will nur Hallo sagen" ist dann in Wahrheit oft ein "Der schüchtert gerne ein". 

 

Führt man angeleinte Hunde in diese Situation, lernt eine Partei: Einschüchtern ist erlaubt oder sogar erwünscht.

Die andere Partei lernt: Eingeschüchtert werden an der Leine heißt, nicht ausweichen zu können und mein Mensch führt mich in potenziell bedrohliche Situationen.

 

Das ist natürlich nur ein Beispiel von vielen verschiedenen Erlebnissen. 

 

Dennoch ist das Risiko hoch, dass Hunde bei Direktkontakten an der Leine unerwünschte Erfahrungen machen und dementsprechend unerwünschte Lösungen für ihr Problem suchen, das Vertrauen in meine Führungsqualitäten verlieren und  sich an der Leine eher unsicher fühlen.

Besonders junge oder instabile Hunde würde ich solchen Erfahrungen wenig aussetzen wollen.

 

Etwas Anderes kann es mit einem sehr entspannten, gestandenen, erwachsenen Hund sein, der grundsätzlich optimistisch und souverän durch's Leben marschiert. Aber say what? Die gehen meist einfach vermeintlich ignorant an fremden Hunden vorbei. Keiner dieser Hunde wurde von seinen Menschen an der Leine immer wieder gezielt in Direktkontakte geführt. Sicher wird es auch hier Ausnahmen geben, aber ich habe in 20 Jahren keine getroffen.

 

Direktkontakte an der Leine kommen also eigentlich nur unter sich gut bekannten und vertrauten Hunden in Frage. Vor diesem Erfahrungshorizont verkraftet dann auch fast jeder Hund die ein oder andere unerwünschte Begegnung ohne gleich auffällig zu werden.

Die wichtigste Frage für dich:

Natürlich entscheidest du selbst darüber, wie du deinen Hund erziehst und was du als "gut" für deinen Hund erachtest. Mir hilft bei solchen "Grundsatzentscheidungen" immer die Frage, welche Erwartung mein Hund an die Situationen haben soll, in denen ich die Leine nutze.

 

Für mich ist klar, dass sich die Leine für meinen Hund so anfühlen soll, wie Händchen halten:

Wir sind gemeinsam unterwegs, gehen in die gleiche Richtung, sind in irgendeiner Form auch immer wieder aktiv in Kontakt.

Da ich den Bewegungsspielraum meines Hundes einschränke, bin ich dafür verantwortlich, dass nichts passiert, was dazu führen könnte, dass er die Leine als Problem empfindet. Sprich: Angeleint musst du dich um nichts kümmern und mit Menschen oder Hund nicht in Interaktion treten, außer (Achtung Ausnahme) ich gebe dir ausdrücklich die Freigabe dafür.

 

Im Ergebnis führt das nämlich dazu, dass die meisten Hunde sich tatsächlich weniger um das Außenrum kümmern, weil eben nicht jeder entgegenkommende Hund potenziell begrüßt, ausgehalten, abgecheckt oder imponiert werden muss. Er ist einfach egal und jeder geht seines Weges. Freundlich zunicken geht auch von weiter weg. So kann man an der Leine, Händchenhaltend, entspannt seiner Wege gehen, anstatt dauernd "mitzugucken", wer da kommt, was der will und wie es weitegeht.

 

Und falls man sich wirklich sympathisch findet, kann man ja immer noch dort, wo es passt, ableinen 💖

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